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Anwerben allein reicht nicht! Über den Einsatz ausländischer Fach- und Pflegekräfte in Deutschland

Viele Sozialunternehmen, insbesondere aus der Pflege, können nicht mehr genug Fachkräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt finden. Doch der Schritt zur Anwerbung im Ausland bedarf sorgfältiger gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und nicht zuletzt ethischer Überlegungen. Fachwelt und Medien sind sich einig: Es fehlt an qualifizierten Pflegekräften in Deutschland. Die veröffentlichten Zahlen schwanken derzeit von 3.000 bis 12.000 unbesetzten Stellen. Das ist in einem großen Land wie Deutschland noch keine Katastrophe, aber es könnte sich – mit regionalen Unterschieden – noch zu einem schweren Problem ausweiten. Über den Zeitpunkt, zu dem ein kritischer Punkt erreicht sein wird, gibt es unterschiedliche Auffassungen. 

Auch bei anderen Berufsgruppen wie zum Beispiel Erzieherinnen oder Ärzten zeichnen sich ähnliche Problemstellungen ab. Aus der Sicht der Führung eines Krankenhauses stellt sich die nüchterne Frage, ob die erforderliche Anzahl von Fachkräften mit der gewünschten Qualität im eigenen Land beschafft werden kann oder ob hierzulande deutliche Abstriche an Menge und Qualität gemacht werden müssen. Wenn wegen Personalmangels die Schließung von Wohnbereichen oder ganzen Einrichtungen droht, muss gehandelt werden. Eine leerstehende Einrichtung ist auf jeden Fall die schlechteste Variante. Auf Rang zwei der schlechten Varianten liegt die Senkung des fachlichen Niveaus, weil »halt keine guten Fachkräfte zu finden« seien. Dieser Gedankengang führt schnell zu der Frage, wo außerhalb Deutschlands zu einem vertretbaren Aufwand und mit einem überschaubaren Risiko zusätzliche Fachkräfte gewonnen werden könnten. Das ist kein neuer Gedanke, er wurde aber bisher weitgehend individuell gedacht und kleinteilig umgesetzt. Wer eben in einem Land jemand kannte, der Leute kannte, die vielleicht als soziale Fachkräfte nach Deutschland kommen könnten, der nutzte seine kleine Individualchance. Das wird in Zukunft nicht mehr reichen. 

Wie ausländische Fachkräfte bezahlt werden sollten 

Es wird sicherlich die Versuchung geben, mit Hilfe der ausländischen Fachkräfte erst einmal Personalkosten einzusparen. Das ist ein naheliegender Gedanke, aber er sollte nicht ernsthaft weiter verfolgt werden. Sobald diese Fachkräfte eingearbeitet sind, werden sie ihren wahren Marktwert erkennen und dann entweder unzufrieden werden und Forderungen stellen – oder einfach gehen. Deshalb lautet die Empfehlung: Nicht die Personalkosten sollten im Vordergrund stehen, sondern die Qualifikation und Qualität.

Welche zusätzlichen Aufwendungen zu erwarten sind 

Ja, es ist mit erheblichen Aufwendungen zu rechnen. Das gilt unabhängig davon, ob sich ein Unternehmen selber auf den spannenden Weg macht, irgendwo auf der Welt arbeitswillige Fachkräfte aufzuspüren und mit ihnen den langen Weg zur in Deutschland anerkannten Fachkraft zu gehen oder ob sich das Unternehmen eines Partners bedient. Bisher gibt es keine seriösen und übertragbaren Kostenrechnungen. Einige der Kostenarten können aber beispielhaft benannt werden:

  • Honorare der lokalen Vermittlungsagenturen im Herkunftsland oder vorhalten einer eigenen Vertretung
  • Honorare der Beratungs- oder Begleitungspartner in Deutschland 
  • Reisekosten für Bewerber nach Deutschland oder für Führungskräfte ins Herkunftsland der Bewerber 
  • Kosten der im Heimatland oder in Deutschland durchgeführten fachbezogenen Sprachkurse 
  • Kosten der Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikationen 
  • Kosten der Unterbringung am Einsatzort (sofern nicht ortsübliche Mieten verlangt werden)
  • Soziale Betreuung in den ersten Arbeitsmonaten (Freizeitprogramm, Integrationsübungen, Alltagstraining)
  • Kosten für Mentoring am Arbeitsplatz etc. 

All diese Kosten sind nicht zu vernachlässigen. Wer hier aber an der falschen Stelle spart, erhöht das Risiko des Scheiterns. Scheitern bedeutet in diesem Zusammenhang: Alles von vorne! Stelle unbesetzt, Kosten vergeblich ausgegeben, neuer Prozess mit neuen Risiken. Das Grundproblem der Gewinnung und Betreuung ausländischer Fach- und Pflegekräfte liegt darin, dass eine Vielzahl von Prozessen gleichzeitig aufgenommen, in Gang gehalten und zu einem Ergebnis geführt werden müssen, obwohl sie ungleichzeitig verlaufen und von unterschiedlichen Beteiligten mit unterschiedlichen Interesse begleitet oder behindert werden. Die jeweiligen Partner dieser Prozesse sind teilweise im Inland, teils im Ausland angesiedelt. Es ist immer mit Überraschungen zu rechnen. Wer rechnet zum Beispiel damit, dass sich die Anerkennung der Berufsqualifikation eines Menschen aus einem EU-Land unter EU-Recht durch deutsche Behörden oft Monate hinziehen kann und dann auch noch einen respektablen dreistelligen Eurobetrag kostet? Dass Deutschland diese Kräfte dringend braucht, scheint den Prozessbeteiligten nicht immer klar (oder klar gemacht worden) zu sein.

Besonderheiten kirchennaher Organisationen 

Für die in Deutschland marktführenden kirchlichen Anbieter Diakonie und Caritas sind Pflegekräfte aus überwiegend muslimisch geprägten oder durch Jahrzehnte kommunistischen Regimes weitgehend religionsfrei gemachten Ländern, ein Problem. Sie stehen unter verstärktem Druck ihrer Kirchen, überwiegend eigene Leute zu beschäftigen. Dieses hohe Ziel lässt sich nur mit regionalen Unterschieden verwirklichen. Bei der Gewinnung von ausländischen Fachkräften wirft dieses Ziel neue Fragen auf. Die romanischen Länder und Polen bieten überwiegend römisch-katholisches Personal. Griechenland, Zypern und einige Balkanländer verfügen über eine größere Zahl von orthodoxen Christen (was für beide Verbände akzeptabel ist). Der Balkan insgesamt und Osteuropa ist in den vergangenen Jahrzehnten großflächig entkirchlicht worden. Viele Arbeitsbewerber können auf die Religions- oder Konfessionsfrage keine klare Antwort geben. Das sind Spezialfragen, die aber die beiden marktführenden Verbände betreffen und deshalb nicht vernachlässigt werden können. 

Kulturelle Fragen 

Es ist zu vermuten, dass viele der potenziellen ausländischen Pflegekräfte zum ersten Mal länger und zum ersten Mal in einem beruflichen Zusammenhang im Ausland sein werden. Das wirft neben der Sprache insbesondere kulturelle Fragen auf. International tätige Firmen bereiten Mitarbeiter, die in einem anderen Land tätig werden sollen, systematisch auf die dort vorfindliche und zu respektierende Kultur vor. Wo Familien mitziehen, werden auch diese unterstützt, und zwar vor der Ausreise, während des dortigen Aufenthalts und nach der Rückkehr. Diesen Aufwand wird die Sozialwirtschaft nicht betreiben können oder wollen, aber die Frage nach dem persönlichen Umfeld der jeweiligen Fachkraft kann nicht verdrängt werden. Wer hier mit Heimweh und Einsamkeitsgefühlen sitzt, der wird nicht auf Dauer die volle emotionale und fachliche Leistung bringen können. Weil wir aber über mäßig bezahlte Berufstätigkeiten sprechen, ist der Familiennachzug, selbst wenn er aufenthaltsrechtlich möglich wäre, häufig keine Option. Vereinfacht kann die Regel aufgestellt werden: Je weiter der Sprach- und Kulturraum entfernt ist, desto mehr Aufmerksamkeit muss der Kulturfrage und dem entsprechenden Training gewidmet werden. 

Fachliche Fragen 

Die Vorstellungen von Pflege variieren von Land zu Land. Andere Traditionen, andere Gesetzgebung, teilweise andere Ausbildungsgänge und Qualifikationsanforderungen sind anzutreffen. Vermutlich wird kein einziger Neuzugang aus einem anderen Land ohne eine gewisse – möglichst qualifiziert unterstützte – Anpassungsleistung wirksam eingesetzt werden können. Diese Fragen müssen offensiv und proaktiv aufgegriffen werden, bevor peinliche Missverständnisse oder gar grobe Fehler vorkommen. Wer diesen Punkt unterschätzt, vielleicht aus Sparsamkeitsgründen, geht ein hohes Risiko ein. ➔ »Viele Prozesse zum Anwerben und zum Einsatz ausländischer Fachkräfte müssen gleichzeitig angestoßen werden« 

Fragen der Organisationsentwicklung 

Mit ausländischen Fachkräften kommen ja nicht nur Probleme in die Häuser, sondern auch Potenziale. Die »Kundschaft« ist längst multikulturell, da kann es nur hilfreich sein, wenn auch das Personal aus verschiedenen Kulturkreisen und Sprachwelten kommt. Einfach ist das im Betrieb nicht, aber es ist heute in vielen Wirtschaftszweigen längst der Normalzustand. Die Sozialwirtschaft muss sich hier noch bewegen. Beschäftigte aus anderen Kulturen bringen andere Vorstellungen von Arbeit, von Führung, von Arbeitsabläufen mit. Auch diese müssen proaktiv bearbeitet werden. 

Potenziale

Die »Kundschaft« ist längst multikulturell

…da kann es nur hilfreich sein, wenn auch das Personal aus verschiedenen Kulturkreisen und Sprachwelten kommt.

Ethische Fragen 

Ganz zu Recht wird im Zusammenhang dieses Themas die Frage gestellt, ob es denn ethisch korrekt sei, junge oder auch ältere Menschen aus ihrem heimatlichen, kulturellen und sprachlichen Zusammenhang heraus zu lösen und nach Deutschland zu holen. Schließlich sei ja unser Problem nicht deren Problem. Das ist in der Theorie korrekt. In der Praxis ist es allerdings so, dass unser Problem eher deren Chance ist. Wer als Jugendlicher in einer Gesellschaft ohne Arbeits- und Ausbildungschance lebt, wird nüchtern seine Möglichkeiten abschätzen. Wer als Erwachsener, sei er alleine oder mit Versorgungsverpflichtungen für Angehörige, eine Qualifizierungs- und Beschäftigungschance erhält, wird sie ergreifen. Es besteht für uns kein Anlass, deshalb mit schlechtem Gewissen da zu stehen. Eher im Gegenteil. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und leistet mit dem Programm »MobiPro-EU« zugunsten ausbildungswilliger junger Menschen bis 35 Jahren aus Europa einen interessanten Beitrag zum Thema. 

Probleme und Feststellungen 

Es gibt einige Aspekte, auf die in diesem Zusammenhang hingewiesen werden muss: 

■ Offenbar gelingt es in Deutschland bisher nicht in wünschenswertem Umfang, Migrantinnen und Migranten für Pflegeberufe zu gewinnen. 

■ Offenbar ist es – auch bei Fachkräften aus EU-Mitgliedsländern – bisher nicht möglich, ein zügiges und respektvolles Anerkennungsverfahren für die im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen einzurichten. 

■ Die im Ausland erwerbbaren Sprachkenntnisse reichen häufig nicht aus, um im Pflegealltag die Zwischentöne zu verstehen und mit besorgten Angehörigen oder kommunikativ eingeschränkten Heimbewohnern adäquat zu kommunizieren. Eine intensive fachsprachliche Schulung, ausgerichtet am beruflichen Alltag, ist unabdingbar.

Probleme, die auftreten können

In vielen Fällen ist die Rekrutierung von ausländischen Fachkräften nach wie vor mit vielen Problemen und entsprechender Frustration verbunden. Oftmals treten bereits bei der Prüfung der Qualifikation die ersten Probleme auf.

International ist die deutsche Pflegequalifikation einmalig. Durch die hohe Pflegequalifikation in Deutschland ist die Rekrutierung von ausländischen Pflegekräften äußerst schwierig. Es kann nur sehr schwer ein Vergleich zur deutschen Qualifikation gezogen werden. Oftmals kann eine ausländische Qualifikation deshalb nicht anerkannt werden.

Falls die Qualifikation der ausländischen Fachkraft nur teilweise anerkannt wird, muss in vielen Fällen mit einer äußerst langen Wartezeit gerechnet werden. In vielen Fällen beträgt die Wartezeit von Anpassungsqualifikationen mindestens sechs Monate. Dies verzögert die Einstellung weshalb der Mangel an Fachkräften nur sehr schleppend behoben werden kann. Außerdem führt dies nicht nur zur Frustration bei den Arbeitgebern, sondern auch bei der Fachkraft. Sie möchte gerne in Deutschland arbeiten, wird aber durch gesetzliche Bestimmungen daran gehindert.

Außerdem kommt dazu, dass die Anpassungsqualifizierungen in den meisten Fällen stark unterbesetzt sind. Die Bearbeitungsdauer ist demnach entsprechend hoch, da die einzelnen Fälle nur sehr langsam bearbeitet werden können. Dies wiederum wirkt sich auf die Beantragung des Visums aus. Die Einstellung der ausländischen Fachkraft wird demnach stark verzögert.

Zu beachten ist bei der Einstellung einer ausländischen Fachkraft unbedingt auch eine klare Kommunikation. Dadurch, dass die Fachkraft während der Zeit des Anerkennungsverfahrens bereits als Pflegekraft arbeiten darf, stößt bei vielen Fachkräften oftmals auf Verwirrung und zusätzliche Frustration. Durch die eigentlich höhere Qualifikation der Fachkraft arbeitet sie dennoch in einem untergestellten Aufgabenbereich. Die Fachkraft muss hierzu zwingend ausführlich informiert werden, dass dies nur ein vorübergehender Zustand ist.