Sind alle Menschen gleich? Gibt es kulturell bedingte Unterschiede? Um die These nicht nur als Provokation zu verstehen, müssen erst Zahlen herhalten. Im Weiteren geht es um Informationen aus dem deutschen Gesundheitssystem und vielleicht gibt es doch eine Erklärung für die Überschrift.
Zahlen und Daten zu Patienten in Deutschland
Krankenhäuser gibt es so lange wie es den Berufsstand der Ärzte gibt. Sie wurden von christlichen Gemeinschaften betrieben, sowohl was den Unterhalt der Gebäude wie die Versorgung der Kranken anbelangte. Mit der Industrialisierung und der Entwicklung der Wissenschaften entwickelte sich eine Laut KBV-Erfassung gehen 10% der GKV-Versicherten 11 – 20 Mal pro Jahr zum Arzt, 22% gehen 6 – 10 Mal pro Jahr und 32% gehen 3 – 5 Mal pro Jahr. Laut GEK-Report von 2008 dagegen werden 17 Besuche pro gesetzlich Versicherten genannt. In Schweden liegt der Durchschnitt der Arztbesuche bei 3 pro Jahr. Europaweit weist der deutsche Patient die höchste Anzahl der Arztkontakte auf.
Laut Aqua-Institut (IKK Webseite vom 11.04.2022) waren von den 25 Mio. Patienten, die eine Notaufnahme aufgesucht haben, rund 10,7 Mio. ambulant versorgbar. Auf der gleichen Webseite findet sich die Angabe von 14,264 Mio. Rettungsdiensteinsätze und davon 5,011 Mio. mit Notarzt (2013).
Das Statistischen Bundesamt weist in deutschen Krankenhäusern 2020 rund 16,794 Mio. versorgte Patienten aus. Sie hatten 120,202 Mio. Belegungstage mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 7,2 Tagen. Die Ausgaben im deutschen Gesundheitssystem haben laut Statista 2019 rund 411 Mrd. Euro betragen. Dennoch betrug 2020 (Destatis) die Lebenserwartung für Mädchen 83,4 Jahre und für Jungen 78,6 Jahre. Damit liegt sie unter dem Durchschnitt der Euro-Zone (Statista).
Trotz deutlich besserer Aufklärungen vor Eingriffen als vor 5 Jahren und trotz der Möglichkeit der Zweitmeinung nimmt die Zahl der Regressverfahren zu. Allerdings liegt die Anzahl der durch die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen nachgewiesenen Behandlungsfehler (2020) relativ statisch im Promillebereich. Werden Vergleichswerte innerhalb Europas genommen, so ist lediglich das Schweizer Gesundheitssystem teurer als das deutsche. Obwohl es in anderen Ländern Wartezeiten auf Facharzttermine, auf Eingriffe gibt, ist die Zufriedenheit der Patienten größer und die Klagefreudigkeit geringer. Diese Diskrepanz findet sich für viele untersuchte Bereiche. Und so stellt sich die Frage: ist der deutsche Patient ein Wunder?
Wahrnehmung der Deutschen Patienten
Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Kantar von 2021 sind 78 % der GKV-Versicherten und 93% PKV-Versicherten mit der Leistung des deutschen Gesundheitssystems zufrieden oder sehr zufrieden. Das entspricht nicht ganz den Berichten der Krankenhausmitarbeiter (Ärzte und Pflege) in den Notaufnahmen und auf den Stationen. Die Anzahl der Tätlichkeiten und Beleidigungen durch Patienten wie Angehörige hat zugenommen.
Mögliche Ursachen
Bei näherem Hinsehen sind die Ursachen vielfältig. Die Kenntnisse der Deutschen zur Gesundheit oder zu Krankheiten ist nicht weit entwickelt. Der Aufbau einer unabhängigen Gesundheitsberatung zieht sich seit Jahren hin. Inwieweit in den Schulen Grundwissen zum Körper und Krankheiten vermittelt wird, bleibt offen. Laut einer Studie der AOK sind 60% der Bürger nicht in der Lage, Krankheiten zu bewältigen und ihre Gesundheit zu erhalten. Ärztliche Vorgaben und Empfehlungen sind für 25% problematisch und 10% können mangels Befähigung ihre Medikamente nicht korrekt einnehmen.
Die Kostenträger bauen seit Jahren ein Klima des Misstrauens auf. Krankenhäuser sind Falschabrechner und damit Betrüger. Qualität scheint in den Kliniken nicht gelebt zu werden. Damit muss über den Medizinischen Dienst geprüft werden, ob die Abrechnung korrekt ist, ob die Strukturen eingehalten werden. Nur wenn das der Fall sei, könne auch gute Leistung erbracht werden.
Der Bürger ist verunsichert, weil er in den Medien regelhaft liest, wie schlecht er behandelt wird. Ist der Schmerz nicht weg, ist das Ergebnis nicht wie erwartet, so kann er sich bei der Krankenkasse beschweren. Sie berät und unterstützt bei der Klärung der Fehlbehandlung.
Gesundheitsökonomen rechnen aus, um wie viel preiswerter das System werden könnte. Die gleichen Leistungen sollen statt stationär ambulant erbracht werden. Krankenhäuser sind zu schließen, weil es ein Bettenüberangebot gäbe. Die verbliebenen Krankenhäuser hätten dann genügend Ärzte und Pflegekräfte. Sollte die Anzahl der ermüdeten Mitarbeiter und viele geben das Signale, das Gesundheitssystem verlassen, dann werden deutlich mehr Krankenhäuser schließen. Kleine Studien bleiben kleine Studien. Sie im Großen umzusetzen, führt zu nicht planbaren Effekten. Vergleichbarkeiten mit dem Ausland ist ohne Sicherheit, weil der deutsche Bürger nicht wie der französische oder italienische reagiert.
Letztlich zeigt jeder auf den anderen, der Schuld sein soll, dass das System so teuer ist und so wenig Effizienz aufweist. Dem Bürger ist damit nicht geholfen. Wenn es darum geht, für Entscheidungen auch die Verantwortung zu übernehmen, dann findet sich niemand. Der Mediziner hat weniger Chancen. Er muss sich seiner Fehlentscheidung, seiner Fehlbehandlung stellen, wenn der Patient klagt.
Weichenstellungen
Bis der Bürger ein besseres Wissen über Gesundheit und Gesundheitssystem bekommt, vergeht viel Zeit. Dennoch sollten Schulen, Medien und unabhängige Institute Wissen und Aufklärung vorantreiben, statt die Polarisierungen zu verstärken.
Der Versicherte, der nicht weiß, wie teuer Gesundheit ist, muss in die Rechnungsstellung einbezogen werden. Das Sachleistungsprinzip ist nicht zwingend aufzugeben, auch wenn in vielen anderen Ländern erst der Patient die Rechnung erhält, bevor die Kasse zahlt.
Bürokratie und patientenferne Arbeiten haben das Engagement der Mitarbeiter im Gesundheitssystem ausgehöhlt. Mitarbeiter im Ausland zu akquirieren, wird nicht ausreichen, die Lücken zu füllen. Die Dokumentationspflichten, die Nachweise sind auf sinnvolle zu reduzieren und über digitale Erfassung zu erbringen. Dann werden vielleicht einige Mitarbeiter ihre innere Kündigung zurückziehen.
Mich würde interessieren, welche schnell wirksamen Maßnahmen Ihr euch vorstellt.
Oder glaubt Ihr die These = Überschrift tritt ein?
Legende
GKV = Gesetzliche Krankenversicherung
KBV = Kassenärztliche Bundesvereinigung
GEK-Report = Gmünder Ersatzkassen-Report
IKK = Innungskrankenkassen
Aqua-Institut = Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH